Liebesleid und Liebeslust
aus Leidenschaft besungen und bespielt
Ein seltener Anblick
an diesem Juni-Sonntag im wetterwendischen Frühsommer 2024: Sonne satt am ungetrübt blauen Firmament. Bilderbuchansicht.
Einen gewohnten Eindruck dagegen verströmt die Schinkelkirche in Petzow auf der lichten Höhe des Grellebergs: Wie gottverlassen liegt sie da. Gottesdienste gibt’s ja nicht mehr sonn- oder feiertags, das Bauwerk ist entwidmet, lange schon, seit 1988. Und seitdem in weltlicher Verwaltungshand.
Ganze 30 Jahre schon beherbergt die Kulturkirche Petzow darstellende wie Gesangskünstler. Das 2024er-Jubiläum eine verdiente Anerkennung!
Kirchliche Rituale in der entwidmeten Kirche sind heute bestenfalls noch buchbar – gegen Nutzungsgebühr – wie im rivalisierenden elektronischen Unterhaltungssektor mit videos on demand so auch hier für Hochzeiten, Taufen oder andere kultische Veranstaltungen im Stil der guten alten Zeit. Und natürlich hauchen die jahresfüllenden Kultur-Events des Landkreises Potsdam-Mittelmark der Kirche fröhlich-besinnliches Leben ein.
Also nix los heute, am 9. Juni 2024 auf dem Grelleberg?! Doch!
Der stille Schein trügt, auch wenn zeitgleich am Europa-Wahlsonntag die Wahllokale konkurrenzlos attraktiv sind. In PM wird noch vielfach per Hand gewählt. Gelebte Demokratie in der Wahlkabine. Über das Stimmenergebnis im Osten unserer Republik sei an dieser Stelle beredtes Schweigen verhängt.
Im Kirchenraum hat sich eine kleine Fangemeinde versammelt, erwartungsvoll, eine Handvoll, handverlesen sozusagen. Die, die wiederkommen, und andere, die wissen wollen:
Wer ist das Duo ›con emozione‹?
Da schreiten sie schon herein durch den Mittelgang: Liane und Norbert Fietzke, Sopransängerin & Moderatorin sie, Pianist und Komponist er. Gebürtig aus dem Brandenburger Land.
Das Duo ist mehr als die Summe seiner Mitglieder, ein Ensemble, das im Zusammenspiel mit Klang und Ton, mit Wort und Taste Melodien in unsere Ohren dringen und in unsere Herzen sinken lässt – und das alles mit pulsierender Leidenschaft, ›con emozione‹.
“Gold von den Sternen”
nennen die Klangkünstler ihr diesjähriges Programm. Der Titel der Pop-Ballade aus dem Musical Mozart! (1999) gibt den Tenor des Liederreigens in der Kulturkirche Petzow vor:
Lieben heißt manchmal loslassen können
Lieben heißt manchmal von Geliebten sich trennen
Lieben heißt nicht nach dem eignen Glück fragen
Lieben heißt unter Tränen zu sagen
Weit von hier fällt GOLD VON DEN STERNEN
Du kannst es finden, da draußen, wo noch keiner war
Sein heißt werden, Leben heißt lernen
Wenn du das Gold von den Sternen suchst
Musst du fort von zu Haus und nur auf dich gestellt
Allein hinaus in die Welt voll Gefahr
In die Welt voll Gefahr!
Diese Liebesvorstellung klingt alles andere als sentimental, ist nicht monochrom simpel wie populärliterarisch in die seichte Filmindustrie hineingespielt. Das Duo >con emozione< will mit seinem 2024er-Programm mitreißen, provozieren, nachdenklich stimmen, Facetten von der Liebe zeigen und Hoffnungsfunken ins Publikum schicken.
Und das soll auch heute in Petzow gelingen. Am Ende des Konzerts erhasche ich noch ein Besucherpaar aus Lübeck, das in unserer Schwielowseer Fluss- und Seenlandschaft Urlaub macht, und frage nach ihren Eindrücken.
“Ich war zu Tränen gerührt!”,
gesteht die Dame.
“Dann habe ich Sie berührt!”, staunt Liane Fietzke. “Das ist mein schönster Applaus!” So hielt es schon Franz Liszt mit dem Lohn des Künstlers, ergänzt sie noch.
“Nicht jeden Musical-Song kriegt man mit Begleitung auf dem Flügel hin”, gibt der Herr zu bedenken und fügt schnell anerkennend hinzu: “Sie schon!”
Recht habe er, gibt Liane Fietzke zurück. “Gold von den Sternen” etwa wurde ursprünglich für ein ganzes Orchester komponiert.
“Doch mit einem Profi-Piano-Komponisten wie meinem Mann Norbert schafft unser Duo das auch mit einem Soloinstrument!”
Liebe im Jubiläumsjahr
2024 schwebt das Künstlerpaar rekordhaft durch sein 30. Bühnenjubiläumsjahr. Und navigiert schon ebenso lang durch den Ehehafen. So trägt auch die Auswahl seiner Musical-Songs im Jubiläumsprogramm für manch einen Konzertgast biografische Züge.
Mit “The Man I Love” (aus ‘Lady – Be Good!‘ von George Gershwin, 1927) beamt sich die Sängerin in der Rolle der Musical-Shirley selbst zurück an die Anfänge ihrer Liebesbiographie, in ihre romantischen Jungmädchenträume:
Someday he'll come along The man I love And he'll be big an strong The man I love And when he comes my way I'll do my best to make him stay
Scheint ja wohl geklappt zu haben – im echten wie im künstlerischen Leben des Duos!
Ein paar Songdarbietungen später wird es inniger, wenn Emma-Liane ihre Erfüllung in der Liebe enthüllt.
Choreographisch verlässt sie beim Song “The Last Man in My Life” (aus ‘Song and Dance‘ von A.L. Webber, 1982) ihre Mittelposition im Kirchenraum und rückt an ihren Duo-Mann am Klavier heran, mit sanfter Andeutung einer Umarmung, ganz in der Stimmung des lyrischen Textes:
Now I’m alive, inside I’m glowing,
I’m how I want to be,
loving you I can be me,
just me.
Found the rainbow I was after,
no more dreams with one face mssing,
I am certain you’re the last man in my life.
Prosaisch vorweg schickt die Sängerin ihr Bio-Statement: “Wir sind ja schon ewig zusammen, arbeiten und lieben und treten auf die Bühnen zwischen Brandenburg und Bayern, zwischen Nord- und Ostsee.” Und erhellt für ihr Publikum, mit einer Zuchtperlenkette in der Hand, was es mit dem Perlen-Hochzeitstag auf sich hat: 30 Jahre Zeit zu zweit, die Jahre wie Perlen aneinandergereiht, Höhen und Tiefen inklusive, das Jubeljahr ganz intim, ohne nervend wohlmeinende Verwandtschaft.
“Und das Besondere an diesem Hochzeitstag”, würzt Liane ihre Begriffserläuterung nicht ohne süffisanten Seitenhieb auf nüchterne moderne Paarpraktiken, “ist, dass nur die Braut etwas geschenkt bekommt, der Mann nicht, er muss dafür sorgen, dass die Braut ein ordentliches Geschenk erhält.” Damit’s nicht kostentreibend für den Gatten wird beim echten Perlenschmuck, empfiehlt sie in der Braut-Rolle “gern auch einen Tauchkurs auf den Malediven”. Die männlichen Zuhörer folgen wohlwollend geneigt bis amüsiert skeptisch diesen Anregungen.
Abschied von der Liebe
Immer wieder durchbricht Liane Fietzke als Moderatorin die Illusion von erfüllter Liebe. In der Figur der Christine Daaé am Grab des gefürchtet-geliebten Opern-Phantoms spricht sie, mit einer roten Rose als Abschiedsgestus in der Hand, ein mahnendes Memento mori: “Man denkt ja immer, man lebt ewig, aber das ist nicht so. Deswegen – gehen Sie niemals im Streit mit jemandem auseinander.” Und intoniert dann mit ihrer glockenklaren Stimme den Sehnsuchts-Song der Christine aus Phantom of the Opera von A.L. Webber (1986), “Wishing you were somehow here again”.
Auch die argentinische Präsidentengattin Eva Peron aus dem Musical Evita (1976) von A.L. Webber und Tim Rice lässt die Sängerin in Kostüm und Intonation Gestalt annehmen. Evitas zerissenes Leben zwischen gesellschaftlichem Geltungsdrang und vernachlässigter Liebe zu Mann, Kindern und Vaterland wird im Reue-Song dieser schillernden Frauenfigur klangästhetisch überhöht:
Don′t cry for me, Argentina The truth is I never left you All through my wild days My mad existence I kept my promise Don't keep your distance
Mitmachaktion
Ob still ergriffen oder frisch vitalisiert – das Publikum lässt sich von Sängerin-Moderatorin Liane Fietzke in jede Gefühlslage dirigieren. Sie sucht die Nähe ihren Zuhörerinnen und Zuhören, ermuntert sie zur Beteiligung, zum “Mitsummen oder Mitbrummen”. Es gehe nicht um “schön singen”, sondern um “singen”. So manch eine/r hört das mit Erleichterung und bildet “den Klangteppich” zum Musical-Gassenhauer “Somewhere Over the Rainbow” aus Der Zauberer von Oz (von Harold Arlen,1939).
Hoffnungsträume sind raum- und zeitlos:
Somewhere over the rainbow Skies are blue And the dreams that you dare to dream Really do come true Someday I'll wish upon a star And wake up where the clouds are far behind me Where troubles melt like lemon drops Away above the chimney tops That's where you'll find me
Liebe und Sehnsucht
Griesgrämige Alt-Katze Grizabella und unbeschwertes Blumenmädchen Eliza Doolittle – zwei Musical-Figuren, deren Liebessehnsüchte kontrastiver nicht sein können, haben es Sängerin Liane angetan. Und ihre Stimme herausgefordert.
Als Glamour Cat Grizabella aus Cats von A.L. Webber (1981) beschwört Liane das vergangene Glück ihrer glamourösen Hoch-Zeit – wovon die Sängerin als reale Person noch Lichtjahre entfernt ist. In minimaler, aber repräsentativer Kostümierung (Schulter- und Katzenschwanz-Stola in Schwarz werden mit gekonnten Griffen von Ehemann Norbert angelegt) und mit enormem Stimmumfang singt sie “Memory”:
Memory, all alone in the moonlight I can dream of the old days Life was beautiful then I remember the time I knew what happiness was Let the memory live again
Den gesellschaftlichen Aufstieg Eliza Doolittles, Blumenverkäuferin mit Londoner Cockney-Mundart, in die englische Oberschicht (aus ‘My Fair Lady’ von Alan Jay Lerner, 1956) zelebriert Liane zu Norberts Tanzrhythmen in schwingender Bewegung und im Accessoire-Stil der 50er-Jahre:
Die Liebe zum “Gold der Sterne”
in der Apsis der inzwischen restaurierten Friedhofskapelle in Paretz im Havelland, “der Wiege der regionalen Kunstszene”, wenn man Liane Fietzkes Überzeugung folgt, hat das Duo ›con emozione‹ auf einem Benefiz-Konzert in seinem Publikum entfacht. Davon berichtet die Sängerin-Moderatorin abschließend voller Stolz. Zu den gespendeten Einnahmen aus dem Kartenverkauf flossen durch ihren Spendenaufruf € 22.000 auf das Restaurationskonto der Gemeinde.
“Sie sind des Künstlers Brot”, appelliert das Künstlerpaar an die Petzower Konzertbesucher.
Furchtlos und besinnlich gehe ich mit den Konzertbesuchern nach den futuristischen Schlussklängen zu “Diese Nacht ist so sternenklar” (aus Evita) um 17 Uhr hinaus in die Welt, um “Gold von den Sternen”, das Glück zu finden? Oder besser: zu gestalten? Das Glück kommt nicht von außen zu uns – von dem anderen oder der anderen. Ist nicht fremdgeschenkt. Eher selbstbestimmt. Ruht in uns selbst. Eine Verheißung. Kein Versprechen.
Oh what a beautiful mornin', Oh, what a beautiful day!
so klingt in mir das Eröffnungslied des Konzerts noch nach:
I got a beautiful feelin' Ev'rything's goin' my way.
Glücklich sein? Ich halte es da eher mit der Alltagswendung “Ich habe Glück”. Mit diesem Sonntag, mit diesem Konzert, mit diesen Künstlern, mit meinem Blogger-Auftrag, mit meinen Lesern, mit meinen Lieben, mit meiner Liebe. Also doch! Glück.
Wenn auch manchmal nur für Sekunden, wie von Herbert Grönemeiers rauer Stimme besungen:
Es sind die einzigartigen Tausendstel-Momente. Das ist, was man Sekundenglück nennt.
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